Obwohl Äthiopien das Nachbarland Eritreas ist, habe ich nie darüber nachgedacht, das Land mal zu besuchen. Das liegt sicherlich auch am schwierigen Verhältnis zwischen diesen beiden Ländern. Seit 1991 ist Eritrea ein unabhängiger Staat, aber so richtig Frieden ist zwischen den beiden Ländern noch immer nicht. Der Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien hat 30 Jahre gedauert und ist der Grund, warum ich überhaupt in Deutschland lebe und nicht in dem Land, in dem ich geboren wurde. Und eben nach Äthiopien führte mich der zweite Teil der Journalistenreise, die ich mit der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen machen durfte.

Straße in Addis Abeba. Kräne und Baustellen prägen das Stadtbild. Foto: Hindi Kiflai

Shopping Area im angesagten Viertel Bole. Foto: Hindi Kiflai

Shopping Center von innen in Bole. Foto: K. Versick
Addis Abeba ist eine der am schnellsten wachsenden Städte Afrikas, die Wirtschaft des Landes erstaunt seit Jahren mit hohen Wachstumsraten. Das alles weiß ich, weil ich mich in die Thematik Äthiopien eingelesen habe. Ich merke aber selbst beim Lesen der Fakten, dass sich ein falsches Bild von diesem Land hartnäckig in meinem Kopf hielt. Klar weiß ich, dass es nicht nur abgrundtiefe Armut gibt, aber die Zahlen und die Entwicklungen überraschen mich doch sehr und ich fahre voller Vorfreude in das ehemalige Feindesland. In mir drin macht sich Verwirrung über meine Rolle breit. Ich fahre in das Land, von dem sich mein Heimatland erst durch einen langwierigen Krieg befreit hat, der auch Menschen aus meiner Familie das Leben gekostet hat. Gleichzeitig ist es mir kulturell sehr Nahe und ich bin deutsche Journalistin.
Kopf aus und ab in den Flieger.
Zum Glück war Nairobi so ereignisreich, dass ich mir dort nicht auch noch den Kopf zermartern konnte, wie es wohl in Addis werden würde.
Und dann Addis.
Ich war sofort verliebt. In das Nebeneinander von Alt und Neu, in die Geschäftigkeit und gleichzeitige Erhabenheit der Menschen, in den Reichtum der Kultur, in das Essen und in die Musik. Und ich bewundere nahezu jede Frau dort.
Aber nacheinander.
Weil Addis Abeba so rasant wächst, ist auch hier Stadtentwicklung und Stadtplanung ein großes Thema. Angegangen wurde zum Beispiel das Verkehrsproblem, in dem man zwei Metro-Linien eingeführt hat. Das entspannt den Verkehr ungemein. Über die weiteren ambitionierten Pläne, was den öffentlichen Nahverkehr angeht, wurden wir vom Chef der Verkehrsbehörde Addis Abebas Dr. Solomon Kidane persönlich unterrichtet. Was ganz schön spannend war, da er verständlich und pointiert die besonderen Herausforderungen der Planung in dieser riesigen Stadt verdeutlicht hat.

Saint Georges Kirche. Hier wurde unter anderen Kaiser Haile Selassie gekrönt. Foto: Hindi Kiflai

Orthodoxe Kirche in Addis Abeba, noch mit dem Epiphanias Fest Schmuck. Foto: Hindi Kiflai
Mit den Kollegen sind wir mehrfach traditionell essen gegangen. Obwohl ich das Essen kenne, war ich überrascht, als ich die Karte im Restaurant sah. Während wir hier Einteilungen wie Vor- und Hauptspeise gewohnt sind, wird in Addis in Restaurants mit traditionellem Essen in Fasten- und Nicht-Fasten-Essen eingeteilt. Fasten Essen heißt veganes Essen. Die äthiopisch-orthodoxe Kirche Tewahdo gehört zu den ältesten Christengemeinden der Welt und hat strenge Regeln, unter anderem, was das Fasten angeht: keine tierischen Produkte vierzig Tage vor Weihnachten und vor Ostern, mittwochs und freitags auch nicht und zu besonderen Feiertagen bleibt die Küche auch vegan. Gegessen wird mit den Händen, und bevor das Essen kommt, gibt es die Möglichkeit sich am Tisch die Hände zu waschen.

Vegane Platte für drei Personen. Foto: Hindi Kiflai

Nicht-Fasten-Essen (Hühnchen und Rindfleisch) für drei Personen. Foto: Hindi Kiflai

Händewaschen sur place. Foto: Hindi Kiflai
Als deutsche Journalistengruppe wurden wir natürlich auch in ein traditionelles Restaurant geschleppt, dass Musik und Tanz der verschiedenen ethnischen Gruppen Äthiopiens anbietet. Wir hatten etwas Pech mit unserem Etablissement, weil es doch sehr touristisch war, sprich es waren kaum Locals vor Ort, aber die Musik, der Tanz und das Essen waren echt toll.
Ich hätte so gerne mitgetanzt, aber Eskista, so heißt der Tanz der Schultern, ist eine für mich unerreichbare Liga des Tanzes. Selbst Beyoncé hat sich an Eskista versucht und dabei richtig gut abgeschnitten, wie in den ersten zwanzig Sekunden ihres Tanzes im Video „Run the World“ zu sehen ist.
Musikalisch hat Addis Abeba noch großartigen Ethio-Jazz zu bieten, den ich mir mit meinem Kollegen Uli in Mamas Kitchen live anhören konnte. Überhaupt war Uli mein bester Tanzpartner, der sich mit mir nachts noch durch die Straßen Addis getraut hat, obwohl es hieß, es könne gefährlich sein.
In einem Club tauchte doch plötzlich kurz nach elf Uhr eine Hochzeitsgesellschaft auf. Braut und Bräutigam begleitet von je zwei, drei FreundInnen. Ich war so baff, dass ich um ein Foto mit der Braut gebeten habe:

Einfach mal im Club die eigene Hochzeit weiter feiern. Getroffen im AV Club in Addis Abeba.
Ach, wie schön sie ist. Das ist auch noch etwas, was ich unbedingt loswerden muss: Die Frauen in Äthiopien sahen immer top aus, die Haare, das Make Up, alles top! An jeder Ecke gibt es Beauty Salons, selbst in den ganz armen Vierteln: Friseure an jeder Ecke.
Was das Wohnen angeht, auch das ist ein großes Problem in Addis Abeba. Immer mehr Menschen ziehen vom Land in die Stadt. Damit sich nicht weitere Slums bilden, gibt es sogenannte Condemeniums, das sind einfache Wohnungen in Wohnsiedlungen, die gerade am Stadtrand von Addis Abeba entstehen. Der mit dem Bau dieser Siedlungen einhergehende Wachstum der Stadt geht auf Kosten der Bevölkerung, die außerhalb des Stadtgebiets von Addis leben. Diese Menschen gehören der ethnischen Gruppe der Oromo an und sehen sich als übergangen und unterdrückt an. Das führt, ganz verkürzt gesagt, zu erheblichen Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften der Stadt und des Staats und Demonstrationen, weswegen in Äthiopien seit Oktober vergangenen Jahres der Ausnahmezustand gilt.
Für die Menschen vor Ort heißt das unter anderem, dass Facebook und YouTube gesperrt sind.
Mit meinen Kollegen haben wir uns die Condemeniums angeschaut und ich hatte das Glück, mit den Macherinnen von Addisinsight.com, einer Info Seite für Äthiopier, sprechen zu dürfen, die mir von ihren derzeitigen Herausforderungen mit dem Ausnahmezustand erzählten.

Condemenium Jumo I. Foto: Hindi Kiflai
Das ist Jumo 1, eine von drei Siedlungen in dem Gebiet. Abgesehen vom Müll sah es vor Ort irgendwie idyllisch aus. Die Kinder spielten Fußball, die Pferde grasten und aus dem einen oder anderen Fenster klang laute Musik. Und es lag der Geruch von Kaffee in der Luft.
Denn Kaffee wird in Addis ständig getrunken. Ob in ganz modernen Läden wie Kaldis, das äthiopische Starbucks oder frisch geröstet und gemahlen, wie es Familien seit Hunderten von Jahren in Äthiopien und Eritrea tun.

Traditioneller Kaffee am Straßenrand. Leckerer gehts nicht. Foto: K. Versick
Ich habe ganz viele Dinge gelernt in Addis Abeba, aber die wohl persönlichste Lektion: Ich kann ohne meine Mutter, Schwester oder Cousine unmöglich eine Tracht kaufen. Im Stadtteil Shuro Meda reiht sich Laden and Laden, SchneiderIn an SchneiderIn und ein Kemis bzw. Zurya (so heißt die Tracht auf Amharisch / Tigrina) ist schöner als das andere. Aber alleine eins kaufen? Mission impossible. Ich habe es versucht und bin kläglich gescheitert.

Trachten, so weit das Auge reicht. Ich konnte mich leider nicht entscheiden und bin mit leeren Händen nach Hause gefahren. Foto: Hindi Kiflai

Ein zehntel des Angebots in Shuro Meda. Trachten Eldorado… Foto: Hindi Kiflai